So etwas erlebten selbst die alten Hasen im Kreistag selten: Die konstituierende Sitzung des Kreistags RD-ECK, am 26. Juni 2023, kündigte in ihrer Einladung an sich überwiegend nur Wahlen und Benennungen an, weshalb sich auch nur wenige Zuschauer eingefunden hatten. Doch die Sitzung dauerte fünf Stunden. Auslöser war ein Antrag der Grünen und ein Folgeantrag der Wählergemeinschaft. Hierzu veröffentlichen wir die ungekürzte Pressemitteilung der Wählergemeinschaft Kreis RD-ECK (WGK), aus welcher sich die Gründe für die Sitzungsdauer ergeben:
Pressemitteilung der WGK-Fraktion zur Kreistagssitzung am 26.6.2023
sowie den darauffolgenden Presseveröffentlichungen
Wo soll das noch hinführen?
Im ganzen Land redet man nur noch vom Erstarken der AfD bei den letzten Wahlen und ihren aktuellen Umfragewerten. Anstatt die Ursachen des aktuellen Erfolgs der AfD zu hinterfragen und selbstkritisch das eigene Handeln zu überdenken, werden Stück für Stück Gesetze, Geschäftsordnungen und Kommunalrechte verändert. Das ist nicht schwer, denn bei der Verhinderung des wachsenden Einflusses von gewählten AfD-Mitgliedern in den Kommunalparlamenten, sind sich die übrigen Landes-Parteien einig und können so jahrzehntelang geltendes Regelwerk verändern. Jedoch hat dies auch Nebenwirkungen, welche möglicherweise nicht bedacht wurden/werden:
Beispiel 1: Die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden wurde im März 2023 durch die Landesregierung (Grüne und CDU) erschwert. Der Grund: Vermehrt kam es in Gemeinden – und wie zuletzt im Kreis RD-ECK (IMLAND) sogar auf Kreisebene – zu Volksentscheiden, welche in der Regel in ihrem positiven Ausgang Beschlüsse aus den Parlamenten ersetzten. Dies ist für die Parlamente rechtlich für zwei Jahre bindend, moralisch selbstverständlich auch darüber hinaus. Die Politiker der „großen“ Parteien in den Parlamenten trauen der Bevölkerung derartige Entscheidungen nicht zu, die direkte Demokratie ist ihnen ein Dorn im Auge. Zudem wurden vielerorts Bürgerentscheide gegen die Errichtung von Industrieparks mit Windkraftanlagen oder gegen Freiflächenphotovoltaik gewonnen. Hier kam man den Planungen von Mitgliedern verschiedener Parteien in die Quere, die häufig finanziell von geplanten Industrieparks profitieren. Da die AfD sich kritisch zum Thema Windkraft positioniert, wird jeder Bürger, der sich kritisch zu „Erneuerbaren Energien“ äußert, automatisch in die rechte Ecke verfrachtet. Die Volksinitiative „Rettet den Bürgerentscheid“ richtet sich gegen den Angriff der Landesregierung auf die direkte Demokratie und wird beispielsweise von SPD und SSW unterstützt. Und sogar der Ortsverband der Grünen St. Peter-Ording fällt ihrer Landespartei in den Rücken und zeichnet die Volksinitiative mit (1). Die Einschränkung der Bürgerentscheide und Bürgerbegehren war nur ein Meilenstein, wie sich im Weiteren zeigt.
Beispiel 2: Um der AfD den Einfluss in Stadträten und Kreistagen zu erschweren, wurde in Schleswig-Holstein die Fraktionsstärke von 2 auf 3 Abgeordnete erhöht. Offen sichtlich glaubten die Entscheider, der AfD würde es, wenn überhaupt, lediglich mit zwei Vertretern gelingen, in die Parlamente einzuziehen. Davon ausgegangen, dass mit der AfD keiner spielen möchte, hätten sie keine Fachausschüsse besetzen können und weitere Einschränkungen hinnehmen müssen. Doch es kam in der Regel anders: Kleine Parteien und Wählergruppen wurden von der Gesetzesänderung getroffen. So verlor beispielsweise die FDP im Eckernförder Stadtrat ihren Fraktionsstatus und somit an Einfluss im demokratischen Procedere im Ostseebad. Die Bildung der AfD-Fraktion mit drei Vertretern im Stadtrat konnten die Taktiker damit nicht verhindern. FDP und SSW klagen nun. Im Kreistag RD-ECK stimmten die Abgeordneten beider Parteien der Änderung der Kreisgeschäftsordnung am 26.6.2023 inhaltlich dahingehend zu bzw. enthielten sich der Stimme, dass fortan auch hier die Regelung Fraktion = mindestens 3 Abgeordnete gilt. Und dies, obwohl sie einst dagegen stimmten und eine Resolution mitzeichneten.
Beispiel 3: Nach Kommunalordnung stand es bislang dem ältesten gewählten Vertreter der Kommunalparlamente zu, die Durchführung der Bürgermeisterwahl bzw. der Wahl des Kreispräsidenten vorzunehmen und stets zu Beginn der konstituierenden Sitzung eine mehr oder weniger flammende Rede zu halten. Da die AfD vielerorts ältere Kandidaten aufstellte, welche schließlich in die Parlamente einzogen und als älteste Mitglieder ermittelt wurden, änderten die Entscheider prompt das Gesetz. Fortan übernimmt die geschilderten Aufgaben derjenige, der die längste Zeit dem jeweiligen Parlament angehört. Dies ist in der Regel fast immer ein CDU- oder SPD-Mann. Nicht selten wird in der Rede des nun Auserwählten der Wunsch nach Fairness und einem anständigen Umgang der Mitglieder des Parlaments mit gegenseitigem Respekt gepredigt. So konnte man es beispielsweise den Worten des Kreistagsmitglieds Lüth (SPD) auf der konstituierenden Sitzung des Kreistags RD-ECK am 9.6.2023 entnehmen. Die guten Vorsätze wurden gut zwei Wochen später wieder über Bord geworfen.
Beispiel 4: Die schleswig-holsteinischen Landes-Parteien einigten sich kürzlich darauf, dass es keine direkte oder indirekte Zusammenarbeit mit der AfD geben dürfe. Hierzu soll gehören, dass man der AfD auch ihr nach Kommunalordnung zustehendes Vorschlagsrecht auf Ausschussvorsitze verwehren will. Dies ist bislang nur 5 Monate lang möglich und deshalb liegt der Gesetzesentwurf zur Aufhebung der zeitlichen Beschränkung bereits vor. In verschiedenen Kreistagen hat man der AfD bereits ihr Vorschlagsrecht entgegengesetzt der jahrzehntelangen Gepflogenheiten verwehrt. Im Kreis Segeberg spielten hingegen Kreistagsmitglieder von CDU, Grünen, Freien Wählern und Basis dieses Spiel nicht mit und bestätigten einen AfD-Bauausschussvorsitzenden nach fünf Jahren in seinem Amt (2). Dies war für Tim Albrecht (Fraktionsgeschäftsführer der CDU in Kreis und Land) offen sichtlich Anlass genug, seine Fraktionskollegen im Kreistag RD-ECK vor der Sitzung des Kreistags am 26.6.2023, auf dessen Tagesordnung die zukünftigen Ausschussbesetzungen standen, noch einmal einzuschwören. Abgestimmt mit anderen Fraktionen sollten die nach Vorschlagsrecht aufgestellten Kandidaten der AfD vorgeführt werden und alle anderen Kandidaten der übrigen Parteien einstimmig unterstützt werden. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen stellte hierfür den Antrag, dass die Vorsitzenden der Fachausschüsse und deren Vertreter nicht wie üblich en bloc, sondern einzeln gewählt werden. Der Fraktionsvorsitzende der WGK, Dr. Andreas Höpken, nahm dies zum Anlass, geheime Wahl zu beantragen. Ein Raunen ging durch den Saal. Warum eigentlich? Man kannte dies schließlich bereits aus den vorangegangenen konstituierenden Sitzungen der Kreistage in Pinneberg, Stormarn und Dithmarschen – auch dort wurde geheim gewählt. Doch hier in Rendsburg zeigte sich die Kreispräsidentin überrascht und gab zu verstehen, dass man darauf nicht vorbereitet sei und erst einmal Abstimmungszettel gestaltet und gedruckt werden müssten, um eine solche Wahl geheim durchführen zu können. Hiervon zeigte Dr. Höpken sich unbeeindruckt. Nach langatmiger Diskussion darüber, wo die Wahl stattfinden könne und welcher Weg zur Wahlurne gewählt werden müsse, einigte man sich schließlich auf den Standort im Flur außerhalb des Sitzungssaales und einen Rundweg. Die Tagesordnung wurde während des Druckvorgangs der Stimmzettel fortgesetzt. Ein FDP-Kreistagsabgeordneter machte die Kreispräsidentin zwischendurch darauf aufmerksam, dass ein AfD-Kreistagsmitglied ein Parteisymbol als Aufkleber auf der Rückseite seines aufgeklappten Laptops zeigen würde, welches seiner Ansicht nach ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Kreises darstelle. Der AfD-Mann bestritt, dass es sich um ein Parteisymbol handeln würde, verdeckte den Aufkleber aber mit dem Hinweis, dass er der Bitte des Friedens Willens nachkäme. Auf der Kreistagssitzung am 9.6.2023 musste bereits der Kandidat von „Die Partei“ einen am Kleidungsstück tragenden Button mit der Aufschrift „Fuck AfD“ nach Aufforderung durch die Kreispräsidentin entfernen. Schließlich begann der erste Wahlgang für den Vorsitz im Hauptausschuss. Nach dem dritten Wahlgang und sichtlich genervten etwa 60 Abgeordneten, ergriff die Kreispräsidentin das Mikrofon und richtete ihre Worte an die Antragsteller der geheimen Wahl, also an uns als Fraktion der Kreiswählergemeinschaft. Sie machte darauf aufmerksam, dass nun erst 3 von 17 Wahldurchgängen abgeschlossen seien und wollte wissen, ob wir unseren Antrag nicht zurückziehen wollten. Unabhängig einer Klärung, ob dies mitten in einer Wahl überhaupt zulässig wäre, erklärten wir, dass wir dies täten, wenn die Grünenchefin ihrerseits den Antrag auf Einzelabstimmung zurückziehen würde. Dies wurde verneint und somit war klar, dass es noch ein langer Abend werden würde. Zwischendurch wurden die Ergebnisse der einzelnen Kandidaten verlesen und da gab es in der Tat einige Überraschungen: Offen sichtlich nutzten einige Parteimitglieder die geheime Wahl und die damit verbundene Auflösung des Fraktionszwangs sowie der vorherigen Absprachen und stimmten teilweise gegen Kandidaten der Allianz und andersherum für Kandidaten der AfD bzw. enthielten sich oder machten ihre Stimme ungültig (3). An dem Getuschel im Saal konnte man erkennen, dass man krampfhaft versuchte, mögliche Abweichler ausfindig zu machen. Insbesondere die 9 Ja-Stimmen für den AfD-Kandidaten (4) als Stellvertreter im Jugendhilfeausschuss in zwei Wahlgängen, versetzten einige Anwesende in eine Art Schockstarre. Dieses und weitere Abstimmungsergebnisse von Kandidaten weiterer Parteien wäre bei einer offenen Wahl kaum denkbar gewesen.
Die AfD-Kandidaten wurden mit großer Mehrheit abgelehnt, die zu wählenden Posten bleiben bis zur nächsten Sitzung vakant. Bis dahin soll das Gesetz so geändert werden, dass es passt.
Fazit: Die Parteien wollen eine einzelne Partei mit ihren gewählten Vertretern in ihren Rechten beschränken und ändern dafür Gesetze und Verordnungen. Dabei treffen sie auch andere, kleinere Parteien und Wählergruppen. Und sie schränken dabei Bürgerrechte ein und ignorieren viele Wähler.
Viele Fachleute betrachten diese Vorgehensweise mit Skepsis und Sorge.
Als WGK-Fraktion möchten wir sachlich und fair in den Ausschüssen und im Kreistag arbeiten. Gern streiten wir um die Sache. Wir werden weiter beobachten, ob die Mut machenden Worte um Fairness, Toleranz, höfliche Umgangsformen und Rücksichtnahme auf Politik-Neulinge Bestand haben oder zerplatzen wie Seifenblasen.
CDU, FDP und SSW haben bereits öffentlich angekündigt, dass sie nun auch die WGK in ihre Schranken weisen wollen. Die veröffentlichten Ankündigungen dieser einstigen IMLAND-Allianz bestärken uns in unserer gewählten Vorgehensweise: Es kann zukünftig nämlich jeden treffen, der sich nicht an die von ihnen vorgegebenen Spielregeln halten will. Und genau dies widerspricht unseren Wertevorstellungen.
Abschließend möchten wir erwähnen, dass sich nicht einer der zur Wahl stehenden Kandidaten für die Fachausschussvorsitze und Vertretungen den zu Wählenden vorgestellt hat. Bei der Menge an neuen Mandatsträgern im Kreistag wäre es aus unserer Sicht ein guter Stil von den Kandidaten und aus unserer Erfahrung in den Kommunalparlamenten auch durchaus üblich gewesen.
Dr. Andreas Höpken
Vorsitzender WGK-Fraktion
(1) Steht der Ortsverband St. Peter-Ording der Grünen im Abseits, weil er die Gesetzesänderung seiner Landespartei durch eine Volksinitiative versucht rückgängig zu machen?
(2) Verweigern CDU, Grüne, Freie Wähler und Basis ihren Kreistagsmitgliedern im Kreistag Segeberg zukünftig die Zusammenarbeit oder schließen sie diese möglicherweise aus ihren Parteien aus, weil diese einen AfD-Kandidaten wählten?
(3) Wird nun recherchiert, wer in geheimer Wahl einen Kandidaten nicht wählte oder wer sich enthielt?
(4) Neun Stimmen sind nach der Rechnung einiger Parteien doch eine Stimme zu viel, oder?